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Bayern-Klatschen als romantisches Lesevergnügen

 

Wenn das mal keine originelle Idee für ein Fußballbuch ist: Nicht einen besonderen oder die größten Erfolge eines Klubs abfeiern, sondern dessen peinlichsten Niederlagen betrachten. Und wenn dann auch noch der deutsche Rekordmeister ins Visier gerückt wird, darf das gern mit besonders viel Häme geschehen, oder? Nicht unbedingt.

 

Der Hörfunkjournalist Albrecht Breitschuh versichert, es gehe ihm keinesfalls darum, Schadenfreude zu schüren. Er wolle lediglich „13 Geschichten für Fußballromantiker“ erzählen, wie auch ein Button auf dem Buchcover verrät. Betitelt hat der Autor sein Werk „Als es den Bayern noch ans Leder ging“. Welche Bayern-Niederlage wohl das Einstiegskapitel bildet? Wer soeben im Geiste mit „Was für eine blöde Frage“ geantwortet hat, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit Anhänger des 1. FC Kaiserslautern sein.

Wenn eine Geschichte schon tausend Mal erzählt worden ist, dann sollte man sie zum 1001. Mal wenigstens ein bisschen anders erzählen. Das hat auch Albrecht Breitschuh erkannt. Drum beginnt seine Schilderung der legendären Partie, in der immerhin elf Treffer gefallen sind, eben nicht mit der dramaturgisch effektvollen Wiedergabe eines dieser Tore – vorzugsweise dem entscheidenden –, sondern mit einem, welches nicht gegeben wurde. 

Klaus Toppmöller hat es erzielt, beziehungsweise, nicht erzielt. Am 20. Oktober 1973, in dem Spiel, über das man einem echten FCK-Fan eigentlich nichts mehr erzählen muss.

Es wäre das 5:4 für den FCK gewesen, markiert in der 79. Minute. Nach 57 Minuten hatte Lautern noch 1:4 zurückgelegen, doch dann hat Toppmöller direkt den zweiten Treffer nachgelegt. Seppl Pirrung, der in Hälfte eins bereits auf 1:3 verkürzt hatte, stellt anschließend mit zwei weiteren Buden den Ausgleich her. 

DAS TOR, DAS NICHT ZÄHLTE – KEINEN HAT’S INTERESSIERT

Vor drei Minuten ist Münchens zweifacher Torschütze Bernd Gersdorff vom Platz geflogen. Jetzt kann das Pendel eigentlich nur noch zu Gunsten der Gastgeber ausschlagen. Toppmöllers Kopfball nach einer Freistoßflanke von Ernst Diehl landet auch prompt im Netz, „de Betze“ kreischt noch lauter als nach den Treffern zuvor –  noch – doch das Tor zählt nicht. 

Weshalb, wird nie geklärt. Fünf Minuten später interessiert es ja auch niemanden mehr. Diehl macht das 5:4 für Lautern, Herbert Laumen setzt noch zwei drauf, und dann steht es, das Endergebnis im bekanntesten Duell, das der 1. FC Kaiserslautern und der FC Bayern jemals ausgefochten haben. 7:4. Gespielt am 10. Spieltag der Bundesliga-Saison 1973/74.

GESCHICHTEN UND GESCHICHTCHEN EINES FIELD REPORTERS

Nur alte Spielberichte herauszukramen und ein wenig umzuschreiben, wär als Buchidee allerdings zu dünn. Auch wenn es ausnahmslos um Niederlagen des deutschen Rekordmeisters geht und die kleine Sammlung sicher ein schönes Geschenk darstellt für alle Anhänger eines Erfolgsklubs, die ihr Fansein lieber pflegen, um ihr Selbstwertgefühl zu kräftigen statt sich den echten Gefühlen zu stellen, die nur der stete Wechsel von Siegen und Niederlagen zu wecken vermag.

Albrecht Breitschuh dienen die 13 Niederlagen daher lediglich als Aufhänger für etliche Geschichten und Geschichtchen, die er in seinen Jahren als Hörfunkjournalist des NDR erlebt hat, in denen er als unzählige Male als Field Reporter unterwegs war, nach denen er viele Protagonisten von damals später aber auch noch einmal persönlich traf. Dabei entfernt er sich manchmal so weit von seinem Ausgangspunkt, dass die Lektüre nur für den durchgehend unterhaltsam bleibt, der sich auch für die Nebenschauplätze der Fußballsensationen interessiert.

„TOPPI“ TRUMPFTE GEGEN DIE BAYERN NOCH ÖFTER AUF

Vom 7:4 zwischen FCK und FCB ausgehend, kommt er zum Beispiel zunächst auf Klaus Toppmöller zu sprechen, etwa auf den Autounfall, der die Karriere des FCK-Stürmer in der deutschen Nationalmannschaft stoppte, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Auch zeigt er auf, wie trügerisch das kollektive Gedächtnis doch ist. So hat gerade Toppmöller später noch viel spektakulärere Spiele gemacht, gerade gegen die Bayern.

Unter anderem machte er in München mit drei Treffern aus einem 1:3 noch ein 4:3, auch bei einem späteren 5:0-Triumph über die Bayern traf er drei Mal. Die Münchner, in persona deren Manager Robert Schwan, versuchten „Toppi“ dann auch mal zu verpflichten, das aber soll an einer damals existierenden Vereinbarung zwischen den Vereinen gescheitert sein, wonach einer dem anderen keinen Spieler abwerben darf… Tatsächlich? Ist aus heutiger Sicht irgendwie schwer nachzuvollziehen.

RAINER ZOBEL BEKLAGT DIE VIELEN FEHLER DES KAISERS 

Anschließend widmet sich Breitschuh dem damaligen Bayern-Spieler Rainer Zobel, der darüber hadert, dass seine Rolle als „Wasserträger“ im damaligen Star-Ensemble bis heute verkannt wird. Immerhin erfährt der Leser, dass Kaiser Franz Beckenbauer nach Zobels Wahrnehmung bei diesem 7:4 „in einer halben Stunde mehr Fehler als in seiner gesamten übrigen Karriere“. Dass Zobel später auch mal ein Jahr lang FCK-Trainer war, wird allerdings nicht erwähnt.

Dafür kommen im letzten Abschnitt des Kapitels Friedhelm Funkel und Norbert Eilenfeldt zu Wort, zwei Ikonen der Lautrer Feldkamp-Ära, die mit dem legendären 7:4 im Grunde jedoch nichts zu tun haben. Sie haben jedoch einiges zu sagen über den Spirit, der damals am Betzenberg herrschte und der die Bayern immer wieder von Neuem in die Knie zwang.

BREITNER: „OHNE KALLE UND MICH FEHLTEN DIE REIZFIGUREN“

Erst zehn Jahre nach diesem 7:4 gewinnen die Bayern wieder am Betzenberg. Über ihren 1:0-Sieg, der die schwarze Serie beendet, wird viel geredet, geschrieben – und fabuliert: Etwa über den „Psycho-Trick“ der Bayern, zu diesem Spiel erstmals in hellblauen Hosen und gelben Trikots aufzulaufen, den Farben der brasilianischen Nationalmannschaft. 

Bayern-Star Paul Breitner argumentiert nüchterner. Er sieht einen Vorteil darin, dass er und Topstürmer Karlheinz Rummenigge beim Comeback-Sieg nicht mit dabei waren: „Wenn der Kalle und ich fehlen, dann wird dem Publikum in Kaiserslautern ein Teil der Gehässigkeit genommen. Die Reizfiguren fehlen. Und die Lautrer Mannschaft nimmt den FC Bayern als Gegner auch nicht mehr so ernst.“

Ähnlich ausufernd erzählt der Autor auch in den übrigen Kapiteln. Sie handeln unter anderem von den legendären Siegen, die Lautrer Nachbarn gegen die Bayern errangen: Der 1. FC Saarbrücken schlug die Münchner 1977 mit 6:1, der FC Homburg siegte, von Trainer-Unikum Uwe Klimaschefski geführt, im gleichen Jahr 3:1 im DFB-Pokal. Die höchste Niederlage verabreichten jedoch die Schalker dem heutigen Rekordmeister: 1976 triumphierten sie im Münchner Olympiastadion mit 7:0.

DER EIGENTLICHE HELD DES 7:4 KOMMT NICHT ZU WORT

Diese Spiele haben immer auch Helden geboren: Bei Saarbrückens Erfolg trifft Roland Stegmayer vier Mal, beim Schalker Coup Klaus Fischer ebenso oft. Von daher war Lauterns 7:4 strenggenommen nicht das Spiel das Klaus Toppmöllers, sondern das des Seppl Pirrung.

Der kleine Rechtsaußen mit den unterschiedlich langen Beinen traf drei Mal. Er aber konnte Albrecht Breitschuh für eine nostalgische Nachbereitung nicht mehr zur Verfügung stehen. Pirrung starb am 11. Februar 2011 im Alter von gerade mal 61 Jahren an einer Krebserkrankung.

Einen seiner letzten Besuche hatte der Mann aus Münchweiler an der Rodalb dem Betzenberg im August 2010 abgestattet. Gemeinsam mit seinem Enkel verfolgte Pirrung  den 2:0 Sieg den FCK über – die Bayern. Der einzige Erfolg übrigens, der Lautern in diesem Jahrhundert über den einstigen Erzrivalen glückte. Die Zeiten haben sich eben geändert, und das nachhaltig.

ERFOLG BRAUCHT GELD: DIE UNROMANTISCHE QUINTESSENZ

Breitschuh nutzt seine Schilderungen von Bayern-Niederlagen ebenfalls, um die Niedergänge verschiedener Klubs in den Jahren nach dem Sieg anzureißen. So geschieht es natürlich auch bei 1. FC Kaiserslautern. 

Und so macht diese Bayern-Pleitensammlung auch deutlich, dass kein Verein ewiglich  von einem großen Tag gegen einen großen Gegner zehren kann, so dass sich in die Erzählung mehr als einmal eine gehörige Portion Wehmut mengt. Auf Dauer ist Erfolg im Profisport nur möglich, wo genug Geld vorhanden ist, und diese Erkenntnis ist nun einmal ganz und gar unromantisch.

Zum Schluss ein kleiner Tipp für alle, die nur das FCK-Kapitel lesen wollen: Auf der Homepage des Arete-Verlags steht eine Leseprobe des Buchs zum Download bereit – in dieser ist das FCK-Kapitel komplett enthalten. 

„Als es den Bayern noch ans Leder ging“ von Albrecht Breitschuh ist als Taschenbuch im Arete-Verlag erschienen und kostet 18 Euro. Als eBook ist der Titel nicht erhältlich.

erschienen auf "blogvierzwei.de" am 19.1.2020

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