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Foto: Thomas Hilmes / www.der-betze-brennt.de

 

 

"Es ist immer noch Fußball, da ist nicht alles planbar"

Zu seiner Person existiert immer noch kein „Wikipedia“-Eintrag. Muss auch nicht, da Boris Notzon „nur“ Sportdirektor eines Drittligisten ist? Kann man drüber streiten. Ein unbeschriebenes Blatt in der Branche ist Boris Notzon jedenfalls nicht. Als Leiter des Kölner „Sportslab“ hat der heute 39-jährige schon vor über zehn Jahren Pionierarbeit geleistet, was digitale Datennutzung im deutschen Profifußball angeht, insbesondere in Sachen Spielerscouting. Dies ist auch weiterhin sein wichtigstes Tätigkeitsfeld als Sportdirektor beim 1. FC Kaiserslautern, wo er seine Erfahrungen im EDV-Bereich ebenfalls einbringt. Im ausführlichen Gespräch, das wir in zwei Teilen veröffentlichen, gibt er Einblicke in seine Arbeit und lässt seine nunmehr vier Jahre beim FCK Revue passieren.

Herr Notzon, in den Fußballmedien taucht Ihr Name erstmals im Zusammenhang mit dem „SportsLab“ des 1. FC Köln auf, das vor über zehn richtungsweise Pionierarbeit in Sachen Videoscouting und Datenanalysen im Fußball leistete. Sie leiteten das „SportsLab“. Was genau haben Sie da gemacht?

Wir wollten uns im Bereich Scouting und Spielanalyse verbessern und haben uns gefragt, was technisch möglich sein könnte. Einfach ausgedrückt: Wir haben uns etliche Satellitenschüsseln aufs Dach gestellt und damit Spiele aus ausgewählten Ligen und Wettbewerben aufgezeichnet, alles digital auf einem sehr großen Server, was zu dieser Zeit ein absolutes Novum war. Dann haben wir fußballbegeisterte Sportstudenten angesprochen und Spezialisten für die einzelnen Ligen und Wettbewerbe ausgebildet. Dabei haben wir darauf geachtet, dass diese die Landessprache eines der Länder beherrschten, auf die wir uns besonders fokussiert haben. Sie konnten nicht nur den Spielkommentaren in der Landessprache folgen, sondern konnten parallel auch die Sportzeitungen des jeweiligen Landes im Internet studieren. Wir konnten zu jedem Spieler, beispielsweise aus Dänemark oder Portugal, Analysen und Spielszenen zu Stärken und Schwächen in 30 Minuten zusammenstellen oder, noch einfacher, alle Tore der norwegischen ersten Liga vom Wochenende anschauen.

Wie sind Sie dazu gekommen, Fußball auf diese Art zu betrachten? 

Ich habe Sport studiert, selbst aktiv gespielt und schon früh einen Zugang für mich zur Spielanalyse und dem Scouting entwickelt. Über ein Praktikum bei der U-19 des 1. FC Köln konnte ich erste Erfahrungen in der Arbeit mit einer professionellen Mannschaft sammeln. In den weiteren Jahren habe ich als Leiter für Spielanalyse und als Chef-Scout für den 1.FC Köln und die Nationalmannschaften Dänemarks und Kameruns bei der WM in Südafrika und Brasilien gearbeitet. Nach 10 Jahren beim 1. FC Köln und dem Aufstieg 2014 mit Trainer Peter Stöger hab ich mich dann aus persönlichen Gründen entschieden, etwas Neues zu machen. Nach der WM im Sommer in Brasilien ging es dann direkt beim FCK los. Im ersten Jahr holten wir beispielsweise Younes, Demirbay, Klich und Thommy nach Lautern, nur hat es am Ende leider nicht mit dem Aufstieg geklappt. Danach sind einige Dinge kreuz und quer gelaufen. Ich bin jetzt Teil der sportlichen Leitung, kann mich einbringen und konnte mich also peu à peu weiterentwickeln, das sehe ich als großen Vorteil.

Warum hatte sich die Idee des SportsLab schon wenige Jahre später wieder überlebt?

Viele Vereine wie RB Leipzig oder Schalke 04 arbeiten immer noch nach den gleichen Überlegungen und setzen Sportstudenten für Video-Scouting ein. Die technische Plattform dagegen hat sich überholt. Diese kann man nun von Anbietern wie „Wyscout“ oder „Instat“ beziehen. Hier werden nahezu alle relevanten Spiele im Weltfußball digital aufgezeichnet und analysiert. Wir in Köln waren damals aber die ersten, die sich ein solches Produkt selbst gebaut hatten. Heute nutzen wir auch in Kaiserslautern diese Plattformen, und sie sind uns eine große Hilfe. 

Auch wenn sie auf die gleichen Datenbänke zugreifen können, nutzen die Vereine heutzutage Spiel- und Spieleranalysedaten sehr unterschiedlich – und unterschiedlich erfolgreich. Als Referenzklub für effiziente Datennutzung gilt der dänische Spitzenklub FC Midtjylland, der angeblich überhaupt keinen menschlichen Scout mehr beschäftigt.

Da war ich auch mal zu Besuch und hab mir die Arbeitsweise näher anschauen dürfen. Da muss man ein wenig differenzieren: Midtjylland arbeitet mit einem „Moneyball“-System, das ursprünglich für Sportwetten entwickelt wurde – das Unternehmen des Hauptinvestors kommt auch dieser Branche. Die haben Algorithmen entwickelt, mit denen Spieler identifiziert werden, deren Marktwert geringer ist, als er aufgrund ihrer Leistungsdaten sein müsste. Auf diese Weise macht Midtjylland in den Medien immer mal mit interessanten Transfers auf sich aufmerksam (Anm. der Red: Im Sommer etwa verpflichtete Midtjylland den Kieler Dominick Drexler für 2,5 Millionen Euro und verkaufte ihn noch in der gleichen Transferperiode für vier Millionen Euro an den 1. FC Köln weiter). Aber wie viele Spieler der Klub wirklich über diese Systematik verpflichtet, weiß ja niemand. Die Spieler, die den Durchbruch nicht schaffen, bleiben öffentlich unter dem Radar… Zudem zählt Midtjylland mittlerweile zu den finanzstärksten Klubs in Dänemark und könnte auch ohne eigene Zahlen-Berechnungen sinnvolle Transfers umsetzen.

Und wie muss man Daten auswerten, um Risiken zu minimieren?

Man muss es hinbekommen, die Leistungsdaten und Spielart eines Spielers aus der Liga, in der er aktuell spielt, in eine aussagekräftige Beziehung zu den Anforderungen zu bringen, die in der Spielklasse von ihm verlangt werden, in der er künftig spielen soll. In Köln haben wir früh versucht, ein solches Profil von unseren Spielern zu erstellen und dieses dann Spielern aus anderen Ligen auf der gleichen Position gegenüber zu stellen. Dann haben wir technisch-taktische Daten – wie Pässe, Zweikämpfe et cetera – und, wenn vorhanden, physische Daten – wie Laufleistung, Sprints, et cetera – verglichen, dann auch mal einen Rechtsverteidiger aus Portugal einem aus Spanien gegenübergestellt.

Der FCK hat 2012, damals noch als Erstligist, Itay Shechter aus Israel verpflichtet, der in seiner Heimatliga sehr erfolgreich war. In Kaiserslautern aber konnte er die Erwartungen nicht erfüllen, der FCK stieg am Saisonende ab – unter anderem, weil sein Königstransfer nicht eingeschlagen hatte. Shechter schaffte anschließend auch in England und in Frankreich den Durchbruch nicht, nun ist er wieder in Israel erfolgreich. Hätte man mit einem solchen analytischen Leistungsvergleich rechtzeitig feststellen können, dass es bei ihm für eine anspruchsvolle europäische Liga nicht reicht?

Nein. Shechter hatte ja nicht nur in der israelischen Liga auffallend gespielt, er behauptete sich auch in internationalen Vergleichen, war mit seinem Klub in der Euro-League sowie in der Nationalelf aktiv. An der fußballerischen Qualität fehlte es nicht. Wir haben uns damals in Köln auch mal mit dem Spieler befasst, Kaiserslautern war mit Sicherheit nicht der einzige Interessent an dem Spieler.. Ganz so blauäugig, wie er später dargestellt wurde, war der Transfer also nicht. 

Weshalb ist Shechter dann gescheitert?

Das möchte ich mir nicht anmaßen zu beurteilen. Ich vermute, es gab Themen der Integration, Sprache und die vorhin angesprochenen Anforderungen im deutschen Fußball, sowie der Mentalität. Ich weiß, dass es für einen jungen Spieler nicht einfach ist, sich aus einem vollkommen anderen Kulturkreis herauszulösen und sich zurechtzufinden. Wenn dich keiner richtig versteht, der Trainer dich nicht aufstellt, musst du dagegen ankämpfen, sonst willst du irgendwann nur noch weg. Aus diesem Grund würde ich selbst heute keinen Spieler direkt aus Israel oder aus Afrika verpflichten – erst, wenn er sich schon in einer europäischen Liga behauptet hat. Etwa in Norwegen. Dann weiß ich nämlich auch, dass er in dem raueren Klima, der europäischen Kultur und den physischen Anforderungen zurechtkommt.

Mit Zahlen lässt sich also nicht alles vorausberechnen…

Mit 24 hätte ich da ein Plädoyer für Videoanalyse und Spieldaten gehalten, heute, mit 39, und mit 15 Jahren Erfahrung in dem Bereich sehe ich dies etwas anders.  Datenanalysen sind eine gute Unterstützung, ein Parameter von mehreren in einer Bewertung, um einen Kandidatenkreis einzuengen. Aber am Ende musst Du Dir die Spieler selbst live vor Ort ansehen. Wie sich beispielsweise ein Stürmer verhält, wenn der Ball nicht in der Nähe ist, siehst Du nur im Stadion. Und du musst, wenn möglich vor Ort vertraulich mit kompetenten Leuten reden, die den Spieler, den du im Auge hast, schon länger kennen, dir etwas zur Persönlichkeit, zur Trainings-Mentalität, also zum Hintergrund sagen.

Kommen wir zu Ihrem Engagement beim 1. FC Kaiserslautern. Als Stefan Kuntz Sie 2014 holte, dachten wir, dass von nun auch in Kaiserslautern intensiver mit elektronischen Daten gearbeitet werden soll…

Das war ein Teil der Überlegungen in den Gesprächen mit Stefan Kuntz und Sportdirektor Markus Schupp. Seither ist auch einiges geschehen. Wir können heute als Verein auf eines der besten Club-Management-Systeme zugreifen, wie es in dieser Form noch nicht viele deutsche Profivereine haben. Darin sind nicht nur alle Trainingseinheiten, Leistungstests, medizinische Daten, Scoutingberichte und Spielanalysen enthalten, sondern auch die komplette sportliche Arbeit bei den Profis und allen Mannschaften im Nachwuchs-Leistungszentrum (NLZ). Dies war auch ein wichtiger Aspekt für das Abschneiden bei der Zertifizierung des NLZ. Über unsere Datenbank und unsere App´s können wir jederzeit sehen, wie ein Spieler trainiert hat, was im Training Schwerpunkt war, wann der Spieler wie lange verletzt war, welcher Behandlungsplan dabei zur Grundlage genommen wurde, wann der Spieler Individual-Training hatte und, und, und. Auch für die Umsetzung einer einheitlichen Spielauffassung beim FCK, an der wir sehr intensiv arbeiten ist, unser System besonders wichtig.

Wie sind Sie denn damals auf den Australier Brandon Borrello aufmerksam geworden? Auch durch eine Vorauswahl per Datenanalyse?

In diesem Fall auch nicht. Ich hatte einen Tipp von dem ehemaligen Kölner Thomas Broich bekommen, der von 2010 bis 2017 bei Brisbane Roar spielte. Ich informierte Thomas, was wir suchen, und er nannte uns drei australische Spieler, die sich dann Olaf Marschall vor Ort anschaute. Borrello war uns nicht unbekannt, da ich ihn beim Asiencup 2016 schon einmal gesehen hatte, daher wussten wir, die weite Reise lohnt sich. Nach Olafs Rückkehr aus Australien war Uwe Stöver und mir klar, dass wir Brandon verpflichten wollen. Dass dies dann auch geklappt hat, war erfreulich. Nicht alles, was über Scouting identifiziert wird, kann leider problemlos verpflichtet werden.

Wird der FCK auch künftig auf dem australischen Markt aktiv sein? Oder sind nach dem Abstieg in die Dritte Liga Spieler von dort für den FCK unerschwinglich geworden?

Es gibt da schon noch den ein oder anderen Spieler, über dessen Werdegang wir uns weiterhin regelmäßig informieren. Vor Ort waren wir aber nicht mehr, da dies auch nicht unser Kernmarkt ist, das ist Deutschland. Grundsätzlich unterscheiden wir im Scouting zwischen passiven Märkten, in denen wir erst auf Hinweise aus unseren Netzwerken reagieren, und aktiven Märkten, in die wir permanent selbst viel Energie investieren. Das sind in Deutschland die U19-Bundesligen, die Regionalligen, da verfolgen wir insbesondere alle Zweitvertretungen der Bundesligisten. In europäischen Ausland haben wir ein besonderes Augenmerk auf Länder wie Österreich, Schweden, Norwegen, Schweiz, Frankreich, Polen, Island, Dänemark, Niederlande und mit Abstrichen Belgien. In diesen Ländern haben wir vor allem die Junioren-Nationalmannschaften im Blick. Von den U21-Länderspielen zwischen Schweden und Norwegen etwa habe ich in den vergangenen zehn Jahren kaum eines verpasst.

Dennoch ist auffällig, dass der FCK in diesem Sommer fast ausschließlich auf deutsche Spieler setzte.

Das haben wir auch ganz bewusst so gemacht und das sollte auch immer der Ansatz sein. Eine im Kern deutschsprachige und entwicklungsfähige Mannschaft aufzubauen. Wenn Spieler aus dem Ausland kommen und die deutsche Sprache nicht beherrschen, müssen sie bereit sein, diese zu lernen. Wenn alle eine Sprache sprechen hast du ein ganz anderes Miteinander in der Gruppe. Das ist gerade in Phasen wichtig, wenn es nicht läuft. Im eigenen Land, glaube ich, entwickelt ein junger Spieler auch einen viel größeren Willen, sich durchzusetzen. Ein Spieler aus dem Ausland „versucht“ es, wenn es nicht klappt, kann er in seiner Wahrnehmung immer wieder in seine Liga zurück.

In den 1990er Jahren hat der SC Freiburg unter Volker Finke gezielt Märkte beackert, die sonst kein anderer auf dem Schirm zu haben schien. So kamen starke Spieler aus Georgien, Tunesien oder Marokko zum SC. Wäre das heute noch denkbar – dass ein Klub auf dem internationalen Spielermarkt eine Nische entdeckt, aus der sich sonst noch keiner oder kaum einer bedient?

Lange Zeit bildete Island noch eine solche Nische, damit ist es aber spätestens seit der Fußball-EM 2016 vorbei. Von da haben wir ja damals auch Bödvarsson verpflichtet (Anm. der Red.: Kam im Januar 2016 ablösefrei, ging im Sommer 2016 für über drei Millionen Euro Ablöse nach Wolverhampton.) Dessen Werdegang hatte ich mal verfolgt, als er noch U17 und U19-Nationalspieler war, ihn dann aber wieder vergessen. Bei einem Spiel in Norwegen, wo es eigentlich um einen anderen Spieler ging, ist er dann wieder aufgefallen. Stefan Kuntz und Markus Schupp haben ihn dann vom FCK überzeugt. Heute ist es natürlich schwieriger geworden. In Schweden und Norwegen etwa beschäftigen viele Vereine eigene hauptamtliche Kräfte, die Spiele und Spieler ganzjährig vor Ort beobachten. Aber es gibt durchaus noch Ligen, wo nicht so viele Vereine hinschauen. Die Zweite Liga Österreichs oder Polens beispielsweise oder Portugals Dritte.

Von dort Spieldaten zu bekommen, um interessante Spieler auf den Schirm zu bekommen… Wie sind Sie als oberster Datenbeschaffer beim FCK denn mit dem Angebot zufrieden, was ihnen aus der deutschen Dritten Liga für Spiel- und Spieleranalysen zur Verfügung gestellt wird?

In der 1. und 2. Bundesliga lässt die DFL ja seit Jahren Spieldaten erheben, auf die alle Vereine zugreifen. Für die deutsche 3. Liga gibt’s nur einige, wenige, nicht unbedingt verlässliche Daten von den bereits genannten Unternehmen. Ich denke, die 3. Liga ist ein Premium-Produkt für den DFB, und ich bin mir sicher, dass der DFB das Thema auf der Agenda hat.

Sportvorstand Martin Bader hat beim Treffen der Fanregion Rheinhessen/Pfalz erklärt, dass der FCK gegenwärtig sein Scouting und seine Jugendscouting neu strukturiert. Was hat er damit gemeint?

Im Jugendscouting versuchen wir, schlankere, aber auch effizientere Strukturen zu schaffen. So wollen wir etwa in Regionen, aus denen wir Fahrdienste für Jugendspieler zum Training nur sehr aufwendig organisieren können, stärker mit Partnervereinen zusammenarbeiten, um diesen Spielern eine gute Ausbildung vor Ort zu ermöglichen und sie dann zum richtigen Zeitpunkt und im richtigen Alter nach Kaiserslautern zu holen. Auch in Bundesländern, aus denen der Wechsel eines Jugendspielers aufgrund der unterschiedlichen Schulsysteme kompliziert ist und vielleicht sogar den Verlust eines Schuljahres nach sich zieht, schauen wir genau, was für uns Sinn macht. Koordiniert wird diese Restrukturierung von John Antuna, unserem neuen Leiter Nachwuchs-Scouting. Im Scouting für die Lizenzmannschaft bleiben die gleichen schlanken Strukturen so, wie wir sie in den vergangenen Jahren geschaffen haben. Für den Bereich Scouting arbeiten hauptamtlich neben mir noch John Antuna und Olaf Marschall. Die Spielanalyse verantwortet Martin Raschick, der als Co-Trainer im Trainer-Team verankert ist.

Vielleicht erwarten einige Leser ja tatsächlich, dass Sie uns jetzt ein paar Spieler nennen, die Sie aktuell auf dem Zettel haben. Den meisten dürfte aber klar sein, dass Sie sich da nicht in die Karten gucken lassen… Möglicher Weise aber können Sie uns mal einen Einblick geben, wie umfangreich und welcher Art die Liste sind, auf die die sportliche Leitung auf der Suche nach Verstärkungen zugreifen kann.

Wir führen vier Listen. Liste eins umfasst alle Spieler, die wir als für uns so interessant ansehen, weil uns ihr sportliches Leistungsvermögen überzeugt hat. Diese Spieler wurden oft genug bewertet, sind klare Verpflichtungkandidaten und gegenwärtig auch finanziell für uns machbar. Auf dieser Übersicht führen wir immer ungefähr fünfundzwanzig Namen. Liste zwei ist etwa ebenso lang: Da führen wir die Spieler, die uns ebenfalls bereits überzeugt haben, an die wir aktuell aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht herankommen. Die Liste hole ich mir alle paar Wochen wieder hervor und prüfe, ob sich die Situation bei einem dieser Spieler geändert hat und halte Kontakt mit den Beratern. Die dritte Liste umfasst Spieler, die uns positiv aufgefallen sind, zu denen wir aber noch keine Verpflichtungsempfehlung abgeben. Da stehen dann rund 200 Namen drauf, von denen aber immer auch mal welche auf die vorgenannten Listen weiter rutschen. Und auf der vierten Liste führen wir alle Spieler zwischen 17 und 20 Jahren, die für unsere Erste Mannschaft, aber auch für unsere U-19 und U-21 interessant sind. So kommt dann auch mal ein Christian Kühlwetter oder ein Mohamed Morabet zur U-21.

Werden da auch Prioritäten bei bestimmten Positionen gesetzt?

Grundsätzlich schauen wir uns permanent nach Spielern für alle Positionen um, weil sich der Bedarf auf einer bestimmten Position sehr kurzfristig ändern kann – auf Grund von Verletzungen, oder auch, weil ein Spieler, mit dem man längerfristig plant, aus wirtschaftlichen Gründen abgegeben wird. Wenn es dann soweit ist, dass auf einer bestimmten Position konkret gehandelt werden muss, liegen uns stets alle Informationen zur Verfügung bereit.

Und wer unterstützt das Team bei den Vor-Ort-Sichtungen?

Da bedienen wir uns freier Sichter. Leuten, die wir lange kennen und deren Urteil wir vertrauen, und die für uns gegen eine Pauschale ein Spiel oder einen Spieler begutachten.

Das hört sich alles gut durchdacht an. Es lässt sich aber auch nicht leugnen, dass zuletzt auch Transfers nicht so geglückt sind. Vor allem auf den Außenbahnen fehlt dem FCK seit Sidney Sam und Ivo Ilicevic ein echter Tembodribbler, der sich auch in engen Räumen durchsetzt. Haben die FCK-Scouts da kein Händchen für oder sind gerade das die Typen, die am schwierigsten zu haben sind?

Auch das kann man nicht pauschalisieren, da muss man die Einzelfälle betrachten. Dass Sebastian Kerk und Erik Thommy solange verletzt ausfallen würden, war nicht vorherzusehen. Dass Brandon Borrello dieser Typ war, darüber sind wir uns doch einig. Wichtig ist, was für einen Typ Flügelspieler sucht du eigentlich? Wie ist der rote Faden im Verein, wer gibt die Richtung vor, welcher Typ passt zum Trainer? Kosta Runjaic ließ ballbesitzorientiert Fußball spielen, ihm folgte Konrad Fünfstück, der mehr auf den zweiten Ball spielte. Tayfun Korkut lag danach wieder mehr auf der Runjaic-Linie, Norbert Meiers Spielidee war wiederum der Fünfstücks näher. Und jeder hatte eigene Vorstellungen vom Personal. So wurden Spieler von Trainern bevorzugt, die zu ihrer Idee passen. Das passt dann aber wieder nicht zwingend zum neuen Trainer. Hier muss der Verein die Philosophie vorgeben und sich im klaren sein, wonach suche ich einen Trainer aus? Dass dies funktioniert, haben andere Vereine nachgewiesen.

Sehen Sie jetzt den Verein jetzt so aufstellt, dass er dieses Hin und Her nun endlich in den Griff bekommt? Dass mit jedem Trainerwechsel auch ein Wechsel der Spielidee einhergeht, mit der sich auch die Ansprüche an die Spieler ändern?

Es ist das erklärte Ziel von Aufsichtsrat und Vorstand, darauf zu achten. Es ist aber immer noch Fußball und nicht alles ist planbar oder rational… Aber ich denke, Leitplanken sollte der Verein vorgeben und alle sollten ein Gefühl haben, wie man sich in diesem Rahmen bewegt.

Insgesamt hat der 1. FC Kaiserslautern in den vergangenen fünf Jahren keine sehr erfreuliche Entwicklung genommen. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?

Der FCK ist in der 3. Liga. Das würde eigentlich als Antwort reichen, aber es ist doch komplexer. Einige Dinge waren absehbar, einige aus meiner Sicht nicht. Der FCK hatte unzählige Verantwortliche in den letzten Jahren und hat von der Idee her mehrmals den Kurs gewechselt. Aber der FCK hat in dieser Zeit auch mehr als 25 Millionen Euro Einnahmen aus Transfererlösen erzielt. Das hat in dieser Zeit mit Abstand kein Zweitligist geschafft. Das ist kein Zufall, sondern hat auch etwas mit Qualität zu tun. Leider ist es aber ein nach unten gerichteter Kreislauf, denn die Qualität musst du kurzfristig ersetzen. Zusätzlich musste der Verein wegen der Vertragsfreiheit noch Spieler wie Brandon Borrello, Sebastian Andersson, Philipp Mwene oder Nils Seufert ablösefrei ziehen lassen. Dass so viele Spieler den FCK wirtschaftlich über Wasser gehalten haben, ist ein Verdienst aller Menschen, die in den letzten Jahren für die Ausbildung beim FCK gearbeitet haben. Nur ein Bruchteil dieser Einnahmen konnte reinvestiert werden. Es liegt die Frage nahe: Wo wäre der FCK heute, wenn diese Transfererlöse nicht hätten erzielt werden können?

Herr Notzon, vielen Dank für dieses ausführliches und informative Gespräch.

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