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"Der Geist Eures Vaters wird Euch die rechten Worte eingeben"

Im fernen Kanada hat sich der Nackenheimer Alexander Deick für den Priesterberuf entschieden, auf den er sich nun im Priesterseminar in der Augustinerstraße vorbereitet.

 

MAINZ - Es ist der letzte Tag des Sommersemesters. Das Bischöfliche Priesterseminar St. Bonifatius beschließt diesen wie jedes Jahr mit einem Gottesdienst, anschließend steht ein gemeinsames Mittagessen auf dem Plan, das ein wenig feierlicher ausfällt als an anderen Tagen. „Siehe, ich sende euch wie Schafe inmitten von Wölfen; so seid nun klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben“, zitiert Regens Dr. Tonke Dennebaum aus dem Matthäus-Evangelium. Einige Verse weiter erklärt Jesus seinen Aposteln, dass sie nicht fürchten sollen, ihnen könnten keine geeigneten Worte einfallen, wenn sie vor ihren Richtern stehen, „der Geist eures Vaters“ werde ihnen diese zur rechten Zeit eingeben.

Ein aktueller Bezug lässt sich da leicht herstellen. Auch wenn die angehenden Priester, die die Predigt verfolgen, sich wohl nicht unbedingt als Schafe empfinden, die unter Wölfe entsandt werden – gute Worte werden sie ihren Kritikern gegenüber finden müssen. Denn nie zuvor stand die Katholische Kirche so sehr in der Kritik. Die Diskussionen um Missbrauchsfälle, den Sinn des Zölibats, die Rolle der Frau und/oder den kirchlichen Umgang mit Homosexualität reißen nicht ab. Dagegen wird über die vielfältige seelsorgerische, caritative und soziale Arbeit, die Geistliche nach wie vor in aller Welt leisten, kaum noch geredet.

"Wir können das Negative nicht ausblenden"

Was motiviert junge Menschen dennoch, sich für den Priesterberuf zu entscheiden? Haben sie sich so sehr in ihren Glauben zurückgezogen, dass sie nicht wahrnehmen, wie die Welt da draußen ihnen mittlerweile begegnet? Oder haben sie gar eine Art „Jetzt erst recht“-Haltung entwickelt?

„Beide Einstellungen wären gefährlich“, erklärt Alexander Deick, der gerade sein erstes Semester am Priesterseminar beendet hat. Denn: „Wir können doch nicht ausblenden, was und wie die Menschen gegenwärtig über unsere Kirche denken.“ Und das Negative, das geschehen sei, dürfe auch nicht geleugnet werden. Andererseits: „Priester zu werden, weil es hip ist, sich gegen den Mainstream zu stellen, ist genauso falsch.“

Der 20-Jährige stammt aus Nackenheim und war von Kindesbeinen an in der Katholischen Pfarrjugend aktiv. Später begeisterte er sich für Kirchenmusik, lernte Klavier und Orgel. Die Entscheidung, Priester zu werden, traf er jedoch nicht in diesem Umfeld. Sondern Tausende von Kilometern entfernt, in Kanada, durch das er nach dem Abitur reiste, um für sich selbst herauszufinden, welchen Weg er künftig gehen will.

Die Entscheidung fällt in Kanada

Sein Wanderleben finanzierte er in dieser Zeit mit Gelegenheitsjobs, etwa Farmarbeit, „aber nichts davon hatte einen christlichen Hintergrund“. Seine Entscheidung, Priester zu werden, fiele daher ohne jeden klerikalen Einfluss – und gerade darum sei er überzeugt, dass sie die richtige war. Noch von Kanada aus vereinbarte er ein Vorstellungsgespräch im Mainzer Priesterseminar.

Die Eltern reagierten auf seine Berufswahl mit Zurückhaltung, aber auch nicht wirklich überrascht. Auch sonst stieß er nach seiner Rückkehr auf überwiegend positive Reaktionen. Im Rahmen eines theologischen Propädeutikums arbeitete Alexander Deick anschließend in Freiburg in einer Behindertenwerkstatt – „eine Erfahrung, die ich jedem nur empfehlen kann“.

 

Überhaupt sei es die Begegnung mit Menschen, die ihn, neben seinem Glauben an Gott, am Priesterberuf fasziniert: „Später seelsorgerisch tätig werden zu können, ist mein größter Wunsch.“

Im Priesterseminar erfolgt die "spirituelle Hinführung"

Seit Beginn des Sommersemester lebt er in dem ehemaligen Augustinereremiten-Kloster in der Mainzer Augustinerstraße, das seit 1804 als Priesterseminar dient. Die Unterbringung ist für die Seminaristen verpflichtend. Seit den fünfziger Jahren studieren sie zwar tagsüber an der katholisch-theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität, im Priesterseminar jedoch erfolgt die begleitende Pastoralausbildung, etwa Gesangsunterricht, sowie die „spirituelle Hinführung“ zum Beruf. Seine verbleibende Freizeit könnte Alexander Deick selbstverständlich auch im heimischen Nackenheim verbringen, doch bleibt er meist lieber im Seminar, weil er sich dort gerne mit Gleichgesinnten austauscht und morgens „schneller wieder an der Uni ist“.

Mit ihm lebten im Sommersemester zehn Seminaristen im Gebäude. „So viele waren es auch 1806, unter dem ersten Regens Bruno Liebermann“, erzählt der aktuelle Subregens Sebastian Lang. Er stammt aus Mainz-Ebersheim und ist selbst, wie er sagt, „ein Produkt dieses Hauses“.

Als er 2006 ins Priesterseminar eintrat, studierte er gemeinsam mit rund 30 angehende Priestern. Dass es heuer nur noch elf sind, wertet er nicht unbedingt als Resultat der schlechten Presse, mit der sich die Katholische Kirche zunehmend konfrontiert sieht. „Es gab schon Zeiten, da waren wir nur zu acht.“

"Die Kirche muss sich ändern"

Gleichwohl leugnen weder Subregens Lang noch der Seminarist Deick: Die Katholische Kirche muss sich ändern, wenn sich nicht noch mehr Menschen von ihr abwenden sollen. Beide haben auch keine Zweifel, dass dies möglich ist, „allerdings nicht in dem Tempo, in dem sich manche Reformer das vorstellen“. Denn die Kirche müsse auch eine Weltkirche bleiben, und erdumspannend sei nun einmal kein schneller Wandel durchzusetzen.

Ohne Frage aber brauche es neue Ideen, um die alten Werte zu vermitteln. Eine solche stellt etwa das „Christliche Orientierungsjahr“ dar, das im Priesterseminar ab Herbst angeboten wird. „Dabei geht es keinesfalls darum, Priesternachwuchs heranzuziehen“, erklärt der Subregens. „Wir wollen zehn jungen Menschen anbieten, ein Jahr im Priesterseminar zu leben, vorzugsweise solchen, die gerade ihr Abitur gemacht oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben.“ In dieser Zeit können sie im Rahmen von Workshops und Freiwilligendiensten entdecken, was Christsein bedeutet – und eventuell für sich selbst herausfinden, wie sie ihr künftiges Leben gestalten wollen.

Klingt das nicht ein wenig nach dem, was Alexander Deick in Kanada gesucht und gefunden hat? In der Tat: „Eine tolle Idee“, pflichtet der 20-Jährige bei. „Da wär ich sofort dabei gewesen, wenn es das Angebot schon vor zwei Jahren gegeben hätte.“

erschienen am 23.07.2019 in der "Allgemeinen Zeitung"

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