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Auch von schlechten Beispielen lässt sich lernen

 

Bitte ergänzen Sie folgenden Text: „Der Abstieg des XXX ist eine beispiellose Episode im deutschen Profifußball. In den YYY Jahren qualifizierte sich der Verein regelmäßig für europäische Wettbewerbe, lieferte sich legendäre Schlachten auf internationaler  Bühne. (…) Mittlerweile steht der Verein für viele Fans sinnbildlich für Missmanagement und wirtschaftliche Unfähigkeit. Wie konnte das passieren?“

 

Für Anhänger des 1. FC Kaiserslautern dürfte klar sein: Für die X-e muss der Name ihres Herzensvereins gesetzt werden, anstelle der  Y-e „1990er“.

 

Oder? Eben nicht.

Diese Sätze leiten nämlich ein Buch über den Hamburger SV ein, und anstelle der Y-e muss „nuller“ stehen. Schlicht und ergreifend „Der Abstieg“ haben die Journalisten Tobias Escher und Daniel Jovanov ihr Werk genannt, das den sportlichen Niedergang des HSV von 2009 bis 1018 beschreibt. Doch schon der Untertitel löst beim FCK-Fan so ein mehr oder weniger bestimmtes Gefühl des Wiedererkennens aus: „Wie Funktionäre einen Verein ruinieren.“

15 Trainer, sechs Sportchefs und fünf Vorstandsvorsitzende hat der Hamburger Großklub im genannten Zeitraum verschlissen. Da kann der ungleich kleinere Verein aus pfälzischen Provinz beinahe mithalten. 71 Spieler hat der HSV währenddessen dabei verpflichtet – da bringt es der FCK in der acht Jahre währenden Ära Stefan Kuntz sogar auf ein paar mehr. 200 Millionen Euro an Ablösesummen haben die Norddeutschen fürs kickende Personal gelatzt. Okay, da kommen die Pfälzer nicht annähernd mit. Dafür sind die Kassen schon zu lange zu leer.

DIE SACHE MIT DEM GRÖSSENWAHN

Alles lässt sich eben doch nicht vergleichen zwischen diesen beiden Klubs. Der HSV ist nach Jahren des Missmanagement ja auch nur in die Zweite Liga gestürzt, und dank der unverhältnismäßig fließenden TV-Gelder ist er gegenüber der Konkurrenz im Unterhaus immer noch so gut ausgestattet, dass es für ihn ein Leichtes sein sollte, nach nur einem Jahr in die Beletage zurückzufedern. Der FCK hat seinen Niedergang bereits zehn Jahre früher eingeleitet, als die Schere zwischen arm und reich erst so richtig auseinander zu klaffen begann. Dumm gelaufen.

Und ursächlich für den Lautrer Niedergang ist dem Meinungsmainstream zufolge ja der Größenwahn, der mit dem sensationellen Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1998 um sich zu greifen begann und mit dem vollkommen überdimensionierten Ausbau des eigenen Stadions für die WM 2006 den fatalen Höhepunkt erreichte, der anschließend zum Absturz führte. In diesem Lied fehlen zwar etliche Zwischentöne, aber nach dem es unlängst selbst der Haussender SWR in seinem Beitrag „Stirb langsam, 1. FC Kaiserslautern“ anstimmte, wird es langsam müßig, dagegen anzuschreiben.

Der HSV aber ist ein „Weltstadt“-Klub, dem im Grunde kein Anspruch zu hoch sein darf, als dass er sich nicht erfüllen ließe.  Zu groß eigentlich, um „größenwahnsinnig“ zu  werden. Er muss beim Umsetzen seiner eigentlich berechtigten Ansprüche an anderen Fehlern gescheitert sein. Und eben die zeichnen Escher und Jovanov auf 272 Seiten nach. Nicht nur analytisch, sondern auch erzählerisch gekonnt.

DIE ABWÄRTSSPIRALE DREHT SICH

Allein schon der Einstieg. Die Autoren beginnen im Frühjahr 2009. Der HSV hat noch in drei Wettbewerben Titelchancen. Meisterschaft, DFB-Pokal und UEFA-Cup. Und in allen drei Wettbewerben treffen die Rothosen kurz nacheinander auf denselben Gegner: Werder Bremen. Den ungeliebten Lokalrivalen.

Es könnte die erfolgreichste Saison der Hamburger seit Jahrzehnten werden. Doch innerhalb weniger Tage verspielen sie alles. Auf allen drei Hochzeiten. Gegen Werder Bremen. Den ungeliebten Lokalrivalen. Hätte dies ein Romanautor fataler erfinden können?

Und damit setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang, die der des Provinzklubs in der fernen Pfalz gar nicht so unähnlich ist.

Mit dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann, Marketingvorstand Katja Kraus und Sportvorstand Dietmar Beiersdorfer beginnt daraufhin die Klubleitung auseinander zu brechen. Jeder der Drei mag auch Fehler gemacht haben, aber als Team hatte das Trio über Jahre gut funktioniert. Ebenso verlässt Coach Martin Jol den Klub im folgenden Sommer. 

Danach stimmt nichts mehr. In einem permanenten Kommen und Gehen in den Chefbüros wie auf dem Rasen geht jeder Plan, jede Ordnung verloren. Neun Jahre lang.

GUT VERDIENEN, NICHTS ZU MELDEN: DIE TRAINER

Die zahlreichen Trainer sind dabei im Grunde die ärmsten Schweine. Nicht, was Verdienst und Abfindungen angeht, die dürften von nobler Hamburger Größe gewesen sein. Sondern, weil sie auf dieses Treiben den wenigsten Einfluss hatten. Am groteskesten wird Bruno Labbadia mitgespielt, der gleich zwei Mal auf das immer irrer rotierende Personalkarussell aufspringt.

Im Sommer 2016 wünscht er sich für sein Team einen defensiven Mittelfeldspieler, der auch Innenverteidiger kann. Er bekommt einen Linksverteidiger namens Douglas Santos und einen Möchtegernstar namens Alen Halilovic, der zwar vom FC Barcelona kommt, dort aber kaum gespielt hat und als Messi-Imitat zwar nicht billig, aber dennoch unbrauchbar ist.

Weshalb?

Weil sich Geldgeber Klaus-Michael Kühne kurz zuvor mit dem mächtigen Spielberater Volker Struth angefreundet hat, der ihm nun Transferideen souffliert. Auf die Idee, dass sein Kumpel eigene Geschäftsinteressen über sportliche Sinnfragen stellen könnte, kommt der Milliardär anscheinend nicht. Überhaupt wird es mit den Jahren immer unübersichtlicher, wer bei Hamburgs Personalpolitik neben unmittelbaren Vertragspartnern sonst noch alles mitkassiert. Und dem FCK-Fan fällt bei dieser Lektüre der Name Roger Wittmann ein.

OLDIES SIND KEINE GOLDIES

Bereits 2012 hat Kühne ein irrsinniges 13-Millionen-Euro-Paket geschnürt, um den alternden Star Rafael van der Vaart an die Elbe zurück zu holen, mit dem der HSV einst große Jahre erlebte – die Vergangenheit heraufzubeschwören, um das Fanvolk für sich einzunehmen, auch das kennen wir aus der Pfalz.

Doch Geschichte wiederholt sich nicht. Van der Vaart erreicht nicht mich mehr die Form früherer Tage, und der Wiederverkaufswert des bei seiner Verpflichtung 29-jährigen tendiert  gegen Null. Ähnlich schlechte Geschäfte mit reifen Fußballfrüchten machte der FCK mit Youri Djorkaeff und Mario Basler.

Den Transferwunsch Frank Arnesens zu unterstützen, des sportlich eigentlich Verantwortlichen, hat Kühne sich geweigert. Arnesen wollte den aufstrebenden dänischen Jungstar Christian Eriksen, damals 21, unter Vertrag nehmen. Dessen Marktwert wird heute auf 80 Millionen Euro beziffert. Die Personalie leitet auch die Demontage Arnesens ein, wobei Escher/Jovanov das schöne Wort „Enteierung“ benutzen.

UND DER SPORT BLEIBT AUF DER STRECKE

Nicht minder skurril gestaltet sich die Episode um Bert van Marwijk, unbestritten ein Trainer des internationalen Formats, welches der HSV permanent anstrebt. Der schmeißt hin, nach dem der zwischenzeitliche Marketingvorstand Joachim Hilke ihn und sein Team in der Winterpause 2013/2014 zu einem strapaziösen Indonesientrip genötigt hat, worauf van Marwijk seine Truppe für die Rückrunde nicht mehr fit bekommt.

Auf ihn folgt Mirko Slomka, der diese Defizite mit brutalem Lauftraining zu beheben versucht und dabei die halbe Mannschaft in den Krankenstand coacht – da werden beim Lautrer Leser Erinnerungen an „Waldlauf-Stumpfi“ wach.

Dass bei all dem sich so etwas wie eine sportliche Entwicklung schon gar gleich vollziehen kann, ist da nur konsequent. So ziemlich jeder der 15 Trainer predigt Pressing und schnelles Umschaltspiel, aber jeder will es ein bisschen anders machen, will andere  Spieler, will andere Trainingsformen, will anderes Vokabular benutzen. Was dabei garantiert nicht entstehen kann, ist ein harmonisch funktionierendes Mannschaftsgefüge. Kennen wir doch auch von irgendwoher.

HÄME IST NICHT ANGEZEIGT

Mit Häme jedoch sollte dieses Buch von Pfälzerm nicht gelesen werden. Vielmehr als Beleg dafür, dass andere die gleichen Fehler machen – und dass daraus der Schluss zu ziehen ist, es vor der eigenen Haustür endlich besser zu machen.

„Bei so vielen handelnden Personen kann der Abstieg (...) nicht durch Fehlentscheidungen einzelner Personen begründet werden“, schreiben Escher und Jovanov. Noch so ein Satz, der 1:1 auf den FCK bezogen werden kann. Was fehlt, analysieren die Autoren, sind Strukturen, die über den Personen stehen.

MEDIEN INSTRUMENTALISIEREN: IMMER SCHLECHT

Ebenfalls schockiert in ihrem Bericht, wie Kühne und Co. immer wieder die Medien instrumentalisieren, um ihre Interessen durchzusetzen. Schlussendlich schaden sie dabei steht nur dem Verein, um den es ihnen doch zu allererst geht.

Das Muster lässt sich auch aktuell in Kaiserslautern erkennen. Da wird über den Einstieg des russischen Milliardärs Michail Ponomarev spekuliert. Nix Genaues wääß mer net, doch aus dem offenbar uneinigen Aufsichtsrat stecken einige Personen schon mal halbgare Infos an die Medien durch, wohl, um die eigene Position in der Sache zu stützen. Auf die Idee, dass derlei Gebaren auch andere potenzielle Geldgeber vergrault, kommen sie anscheinend nicht.

Da bleibt nur, mit dem Satz zu schließen, mit dem auch Escher/Jovanov ihre HSV-Betrachtung schließen: Will es dieser Verein denn nie lernen?

Veröffentlicht im Januar 2019

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